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III.
Aus Winebergers Wallersteiner Zeit sind insgesamt neun Sinfonien, zwei Cellokonzerte (wohl nach 1797 bei Schott in Mainz gedruckt 74), ein Oboenkonzert, drei Klarinettenkonzerte und je ein Doppelkonzert für zwei Klarinetten und zwei Hörner sowie 22 Harmoniemusiken erhalten, von denen manche mit bis zu vier Hörnern und Trompeten sehr groß besetzt sind 75. Hinzu kommen eine Reihe von Kammermusiken, darunter ein viersätziges Quintett für Fagott, Streichtrio und Klavier und diverse Divertimenti für Fagott und Klavier; von den mehr als 20 Streichquartetten, die Wineberger für das gemeinsame Musizieren in Wallerstein schrieb 76, sind 16 erhalten, drei davon wurden im Jahr 1800 bei André in Offen- bach gedruckt 77. Von seinen Streichtrios, den Quartetten in der ebenso ungewöhnlichen wie aparten Besetzung mit je zwei Violinen und Violoncelli 78 und den insgesamt 13 Sonaten für zwei Violoncelli, die er wohl für Graf Franz Ludwig und sich selbst komponierte 79, fehlt dagegen jede Spur.
An Musik für Soli, Chor und Orchester besitzen wir aus jener Zeit ein Ave Maria, drei Messen, ein Requiem, eine Kantate zur Hochzeit (1796) des Fürsten Karl Joseph zu Hohen- lohe-Bartenstein (1766-1838) mit Henriette Herzogin von Württemberg 80 (1767-1817) und sein wohl bedeutendstes geistliches Werk, das dem Fürsten Kraft Ernst zu Oettingen- Wallerstein gewidmete, gut anderthalbstündige Passionsoratorium für vier Solostimmen, vierstimmigen gemischten Chor und Orchester Der Sieg des Lichts, komponiert im Jahr 1794 81. Den Text dieses „musikalischen Dramas in drei Abtheilungen für die heiligen Täge des Leidens, Sterbens und Auferstehung Jesu Christi“ lieferte der aus einer alten protestantischen Nördlinger Familie stammende Daniel Eberhard Beyschlag (1759-1835), der in Leipzig Theologie und Philosophie studiert hatte und seit 1789 der Nördlinger Lateinschule als Rektor vorstand 82.
Gattungsgeschichtlich steht das Werk in der Tradition des deutschen Oratoriums 83, wie es sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss der literarischen Strömung der Empfindsamkeit etabliert hatte. Die dramatische Erzählform des barocken Oratoriums ist einem lyrisch-besinnlichen Text gewichen, in dem die Vertrautheit des Hörers mit den biblischen Ereignissen vorausgesetzt und das Geschehen nicht mehr im Einzelnen nacherzählt wird; statt dessen stellt das Libretto die Empfindungen der handelnden Personen in den Vordergrund. Auch werden den Solostimmen nicht mehr konsequent bestimmten Personen der Handlung konkret zugeordnet. Die Dramatik der biblischen Ereignisse erscheint auf diese Weise gemildert, der Hörer soll in eine unmittelbare gefühlsmäßige Beziehung zum Text versetzt werden. Den ‚Prototyp’ eines solchen Librettos schuf Karl Wilhelm Ramler (1725-1798) mit seiner Dichtung Der Tod Jesu (1754). Dieser Text wurde verschiedentlich in Musik gesetzt; am bekanntesten wurde er in der Vertonung von Karl Heinrich Graun (1703/04-1759), dessen Werk 1755 in Berlin seine erste Aufführung erlebte. In der Folgezeit entstanden zahlreiche empfindsame deutsche Oratorien, in denen termino- logisch die Unterschiede zwischen Oratorium und Kantate (wie Grauns Tod Jesu im Original bezeichnet ist) vielfach aufgehoben sind. Alle diese Werke, unter ihnen Rosettis Der Sterbende Jesus und Jesus in Gethsemane, Beeckes Die Auferstehung Jesu und Wine- bergers Sieg des Lichts, sind mehr oder weniger von Ramlers Text beeinflusst, weisen aber auch musikalische Gemeinsamkeiten auf: Zu nennen sind die Tendenz zu homophonen oder polyphon aufgelockerten Chören und die oft mehr lyrisch-liedhaft als virtuos gestalte- ten Arien. Eher selten werden traditionelle Kirchenlieder eingeschoben. Vorherrschend ist eine galante, empfindsame musikalische Sprache, in der Tonmalerei nur sparsam verwendet wird.
In seiner Widmung an Fürst Kraft Ernst erklärt der Komponist, in welcher Absicht er sein Werk geschaffen hat: „Euerer Durchlaucht dem wärmsten ReligionsVerehrer weihe ich ehrfurchtsvoll dieses Oratorium – meinen ersten Versuch von dem Umfang – glüklich und belohnt genug, wenn es fromme Empfindungen in dem Herze des Christen erreget und die frohe Hofnung seines ewigen Glükes jenseits des Grabes bestärkt. Für diesen Zwek habe ich – aber auch mit dem sehnlichsten Wunsch gearbeitet, daß Euere Durch- laucht es zu meiner Aufmunterung zu hören geruhen mögten.“ Ähnlich wie Rosettis Sterbender Jesus dürfte auch Der Sieg des Lichts nicht vorrangig für einen konkreten Anlass, sondern vor allem in dem Bestreben entstanden sein, dem Fürsten die kompositori- schen Fähigkeiten seines Schöpfers auch auf dem Gebiet eines großen geistlichen Werkes vor Augen zu führen und damit seine Position bei Hofe zu stärken.
Im Gegensatz zu Rosettis und Beeckes Passionsoratorien scheint Winebergers Kompo- sition aber nicht das Glück einer Aufführung beschieden gewesen zu sein. Hierfür spricht, dass – anders als im Falle Rosettis und Beeckes – weder Aufführungsmaterial erhalten ist noch ein Textheft gedruckt wurde und dass die autographe Partitur – die einzige Quelle, die wir besitzen – das sorgsam in Leinen gebundene und mit Goldschnitt versehene Widmungsexemplar für den Fürsten ist, das auch keinerlei Gebrauchsspuren aufweist. All dies zusammen genommen lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu, als dass Der Sieg des Lichts wohl nie aufgeführt worden ist. Über die Gründe hierfür kann man nur speku- lieren. An den musikalischen Qualitäten kann es eigentlich nicht gelegen haben. Wineberger erweist sich als überlegt und formal wie inhaltlich überzeugend disponierender Komponist, der für die Solisten, den Chor und das Orchester, ohne sie über die Maßen zu fordern, doch stets wirkungsvoll zu schreiben vermag. Sein Oratorium steht hierin Rosettis Gat- tungsbeispielen kaum nach.
74 Hans-Christian Müller: Bernhard Schott, Hofmusikstecher in Mainz. Die Frühgeschichte seines Musikverlages bis 1797 mit einem Verzeichnis der Verlagswerke 1779-1797. Mainz 1977 (Beiträge zur mittelrheinischen Musikgeschichte, Bd. 16) nennt sie nicht.
75 Grünsteudel (wie Anm. 3; 2007) enthält ein Kurzverzeichnis der erhaltenen Werke.
76 Little (wie Anm. 3), S. 92.
77 Britta Constapel: Der Musikverlag Johann André in Offenbach am Main. Studien zur Verlagstätigkeit von Johann Anton André und Verzeichnis der Musikalien von 1800 bis 1840. Tutzing 1998, S. 127 (Würzburger musikhistorische Beiträge, Bd. 21).
78 Vgl. Verzeichnis der versteigerten Musikalien des Geheimrats Franz Michael von Schaden, erstellt im Oktober 1791; FÖWAH, Dienerakten Franz Michael von Schaden, III.6.23a; zit. nach Volckamer (wie Anm. 52), S. XXX.
79 Vgl. Nachlassinventar des Grafen Franz Ludwig; FÖWAH, Personalakt Franz Ludwig Nr.13, VIII.13.8a; zit. nach Volckamer (wie Anm. 52), S. XXXI.
80 Schwennicke (wie Anm. 53), Bd. 17. Frankfurt 1998, Tafel 17. Im Auftrag des Fürsten Karl Joseph schrieb Wineberger eine Reihe von Werken. Etliches davon liegt heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München.
81 Universitätsbibliothek Augsburg, 02/HR III 4 ½ 4° 52. – Ein Klavierauszug erschien 2004 in der Edition Birgit Kurz, Würzburg.
82 1801 folgte er dem Ruf als Rektor des Gymnasiums bei St. Anna und Stadtbibliothekar in Augsburg. Zu seiner Biographie vgl. Friedrich Seßler: Daniel Eberhard Beyschlag, in: Wulf- Dietrich Kavasch et al. (Hrsg.): Lebensbilder aus dem Ries. Nördlingen 2002, S. 273-293.
83 Vgl. Martin Geck: Art. „Oratorium“, in: 2MGG, Sachteil, Bd. 7. Kassel 1997, Sp. 765 f.; Günther Massenkeil: Oratorium und Passion. Laaber 1998, S. 220-223, 249-275 (Handbuch der musikalischen Gattungen, Bd. 10/1).